Eigentlich dürfte dieses Hotel nicht in die Rubrik der Gaststätten eingereiht werden, denn es war kein Gasthaus im landläufigen Sinn. Nur die Braunauer Bevölkerung wusste um die besondere Bedeutung des Hauses in der Mühlengasse.
In Wirklichkeit handelte es sich bei diesem Hotel oder Villa Jäger, wie das Gebäude auch noch genannt wurde, um das Gefängnis, dem viele Jahre lang Herr Matthias Jäger als pflichtgetreuer Gefängniswärter vorstand. Gleich hinter der alten Spitalkirche mit Aussicht in den Palmpark steht der einfache und geschmacklose Bau, dessen Fenster zwar zum Park gerichtet sind, aber den Hotelgästen den Blick hinaus nicht ermöglichten. In der guten alten Zeit kam es an den Wochenenden häufig zu Überbuchungen konnte man doch in diesem Hotel nach einer durchzechten Nacht kostengünstig übernachten.
Abbildung: Die etwas andere Braunauer Unterwelt (Ansichtskarte um 1900)
In eben dieser guten alten Zeit gab es einen Wärter, der durch seine Originalität weit bekannt und besonders bei seinen Schutzbefohlenen sehr beliebt war. Seine Gäste rekrutierten sich meist aus den ländlichen Raufdynastien, die mit den gewöhnlichen Dieben keinen Verkehr hatten.
Der alte Franz Gribsch war von großer Statur und hatte als besonderes Merkmal eine dominierende, mit farbigen Auswüchsen versehene Nase, die einer großen Ananas-Erdbeere ähnlich sah. Vor allem durch beständigen Gebrauch großer Mengen Schnupftabaks hatte seine Nase eine derartige Größe erreicht. Seine Schnupftabakdose konnte man eigentlich keine Dose mehr nennen. Es handelte sich hierbei um ein hölzernes Kistchen von der Größe einer Zigarrenschachtel, in welchem sich stets eine Mischung von allen möglichen Sorten Schnupftabak befand. In diesem Kistchen lag auch ein mittelgroßer, beinerner Löffel, der zur Bedienung dieser dominierenden Nase auch notwendig gebraucht wurde. Die Stimme des alten Gribsch war durch sein ständiges Schnupfen derartig undeutlich, dass Leute, die ihn nicht gut kannten, wenig oder gar nicht verstanden.
Wie er für seine Bauernburschen sorgte, die ihm manches aus der ländlichen Wirtschaft für den Haushalt mitbrachten, war stadtbekannt. Unser Franz Gribsch verstand schon wie diese Liebesgaben gemeint waren und zeigte sich durchaus geneigt für so manche Gefälligkeit. Da kam es schon des Öfteren vor, dass er einigen Gefängnisinsassen für eine bestimmte Zeit Urlaub gab, unter der Bedingung, dass sie pünktlich wieder erscheinen müssten, wenn eine Gefangenenvisitation von der hohen Behörde in Sicht war. Als Gefangenenwärter wusste Gribsch das natürlich vorher genau und verständigte seine Schutzbefohlenen immer rechtzeitig. Und tatsächlich erschienen die beurlaubten Gefängnisinsassen dann auch pünktlich zur angegebenen Zeit, um ihre Logis bis auf weiteres zu beziehen.
Abbildung: Blick zum Hotel Jäger in der Mühlengasse (Ansichtskarte um 1912)
Der alte Gribsch war auch ein leidenschaftlicher Billardspieler, und fand er unter den Insassen einen, der auch nur halbwegs mit dem Billard-Queue umgehen konnte, so besuchte er mit dem Gefangenen das nahe gelegene Cafe Mangst in der Palmstraße auf eine Partie Billard.
Dass einige der unfreiwilligen Gäste des Hotels Jäger auch mit einer zielgerichteten Schlitzohrigkeit gesegnet waren, zeigt nachfolgende Begebenheit.
Da wurde einem verurteilten Sträfling doch tatsächlich vom Bezirksrichter die Lieferung einer Flasche Bier bewilligt. Der gewitzte Gefängnisinsasse ließ sich nun täglich eine Flasche bringen, die nicht einen Liter sondern gleich fünf Liter Bier beinhaltete. Der Gefängniswärter Franz Gribsch trank natürlich mit, ohne dass über diese Sache viel Aufhebens gemacht wurde. Als die Geschichte dann aber später doch aufkam, lautete die Ausrede, dass ja die Größe der Flasche nicht bestimmt worden wäre und damit auch kein strafbarer Tatbestand vorliege.
Oh, du gute alte Zeit, niemand hat sich darüber aufgeregt und alle einschließlich des Bezirksrichters haben über die Findigkeit des Sträflings aus vollem Herzen gelacht. Allerdings wurde ab diesem Zeitpunkt keinerlei Flascherl mehr bewilligt.
(Vater Gribsch) Allen jenen, welche einst mit diesem Manne in näherer Beziehung gestanden, wie auch seinen übrigen zahlreichen Bekannten, diene zur Nachricht, dass der alte Gribsch am Mittwoch, dem 12. Oktober, 87 Jahre alt, nach langem, schwerem Leiden und in dürftigen Lebensverhältnissen sanft im Herrn verschieden ist.
Abbildung: Palmpark mit Bürgerspitalkirche und Fronfeste im Hintergrund (Stahlstich um 1866)
Das Google Maps Navigationssystem ist zwar sehr zuverlässig, aber sicherlich nicht unfehlbar. Als aufmerksamer Spaziergänger sollten sie also vor allem Ihre Umgebung immer genau im Blick haben und nicht nur mit gebeugtem Kopf Smartphone und Co fixieren. Dann steht einem unbeschwerten Ausflug nichts mehr im Wege.
Natürlich können Sie sich auch mit einem "analogen Navigationssystem", sozusagen "auf des Schusters Rappen" ausgerüstet mit einem Stadtplan an den gewünschten Zielort begeben.